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Wann wird Zocken zum Problem?

Computerspielsucht bei Jugendlichen

Wann wird Zocken zum Problem?

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    Nicht nur in Zeiten von Corona und Lockdown ist Computer-Spielsucht ein Thema.
    Nicht nur in Zeiten von Corona und Lockdown ist Computer-Spielsucht ein Thema. Foto: Christin Klose

    Frau Prof. Noterdaeme, Sie sind Chefärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Josefinum in Augsburg. 2018 hat die Weltgesundheitsorganisation zum ersten Mal Computerspielsucht offiziell als Krankheit eingestuft. Besonders unter Jugendlichen scheint diese Sucht verbreitet zu sein. Hat Corona die Situation verschärft?

    Michele Noterdaeme: Es gibt Menschen, die stärker suchtgefährdet sind als andere und das in allen Altersgruppen. Das ist zunächst nichts Besonderes. Die Pandemie und die mit ihr verbundenen Maßnahmen haben jedoch Suchtverhalten aller Art begünstigt. Das merken wir auch bei Kindern und Jugendlichen, vor allem bei der Computerspielsucht. Die Schüler sitzen im Homeschooling den halben Tag vor dem Rechner, durch Kontaktbeschränkungen ist ihre soziale Struktur verändert.

    Für viele Kinder und Jugendliche ist Zocken ein Hobby. Wo hört normaler Konsum auf, wo fängt die Sucht an?

    Noterdaeme: Generell ist man nicht süchtig, nur weil man Zeit vor dem PC oder der Spielekonsole verbringt. Der Computer, das Smartphone und das Internet sind allgegenwärtig und aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Die Sucht bemisst sich nicht nur an dem inneren Verlangen und der Länge des Konsums. Entscheidend ist, ob man seinen Konsum kontrollieren kann. Das geht so weit, dass Betroffene grundlegende Bedürfnisse wie Schlafen, Essen oder Körperhygiene vernachlässigen. Sie brauchen täglich den Kick, das Spiel zu gewinnen oder ein nächstes Level zu erreichen. Dann fühlen sie sich am wohlsten.

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    Foto: privat

    Das ist also ähnlich wie bei einer Abhängigkeit von Drogen oder Alkohol?

    Noterdaeme: Ja, Computerspielsucht und Substanzabhängigkeit haben einiges gemeinsam. Betroffene erkennen zwar, dass sie ein extremes Verlangen haben und versuchen zeitweise, damit aufzuhören. Aber sie schaffen es nicht. Sie halten eine Pause nur kurze Zeit aus, bis sie sich - im Falle der Computerspielsucht - wieder an den PC setzen. Wenn ihnen das verwehrt ist, zum Beispiel weil sie tagsüber in die Schule oder Arbeit gehen müssen, zeigen sie Entzugserscheinungen. Sie werden nervös, reizbar, ängstlich oder gar deprimiert. Nicht selten kommt es vor, dass süchtige Jugendliche von der Schule oder ihrer Ausbildung fernbleiben, um daheim in Ruhe zu spielen. Negative Konsequenzen tolerieren sie.

    Und wie reagieren Betroffene, wenn man sie auf eine mögliche Sucht anspricht?

    Noterdaeme: Dann verharmlosen sie es oft, genauso wie das viele Alkoholiker tun. Sie sagen, dass sie sich selbst im Griff hätten, jederzeit aufhören könnten und alles gar nicht so schlimm sei. Sie verheimlichen ihren Konsum. Sie lügen ihre Eltern oder ihr Umfeld an. Das ist ein Problem, denn Eltern erfahren auf diese Weise gar nicht, wie lange am Tag oder in der Nacht ihre Kinder Computer spielen.

    Auf welche Alarmsignale sollten Eltern achten?

    Noterdaeme: Die meisten Kinder entwickeln keine Computerspielsucht. Es ist aber ratsam, sich auf gewisse Verhaltensmuster des Kindes zu sensibilisieren. Es ist nie schlecht, Interesse an dem zu zeigen, was die Kinder tun und mal zuzuschauen. Und das gilt auch für das Computerspiel. Süchtige ziehen sich meistens gleich nach der Schule zurück, haben einen umgekehrten Schlafwachrhythmus oder verlassen das Haus nicht mehr, treffen keine Freunde, isolieren sich und leben in einer Parallelwelt.

    Wenn Verdacht auf eine Computerspielsucht besteht, welche Schritte sind nötig?

    Noterdaeme: Erste Anlaufstelle ist der Kinder- oder Hausarzt. Dieser kann die Situation beurteilen und bei Bedarf an eine kompetente Stelle vermitteln - zum Beispiel an eine Beratungsstelle. Eine Therapie ist meistens ambulant, die bieten wir auch im Josefinum an. Nur bei den härtesten Fällen ist eine stationäre Behandlung im Krankenhaus notwendig. Bei diesen Kindern ist die Computersucht neben massiven Angstzuständen, Traumata oder Depressionen nur ein Teil der Erkrankung.

    Wie sieht eine ambulante Therapie aus?

    Noterdaeme: Sie ist gemischt in Einzel- und Gruppensprechstunden und immer individuell auf den Patienten zugeschnitten. Therapeuten versuchen, das Verhalten der Betroffenen und die Auslöser ihrer inneren Zwänge zu ergründen. Zusammen analysiert man die Verhaltens-Kette und kann nach Alternativen suchen. Das Gewinnen eines Computerspiels wirkt belohnend und stressabbauend. Aber Sport, Hobbys oder Musik wirken genauso. Manche Betroffene flüchten in eine Parallelwelt, weil sie in der realen Welt nicht zurechtkommen. Computerspielen ist für sie ein Katalysator, vielleicht für Mobbing, für eine Über- oder Unterforderung in der Schule oder für familiäre Probleme. Sucht hat meistens einen komplexen Hintergrund. (AZ)

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